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Interview
Das Haus brennt
EPO hat Schäden verursacht, weil es das erste Produkt ist, das seine Leistungsfähigkeit im Ausdauersport bewiesen hat. Offensichtlich hat der Gebrauch von EPO durch Sportler Andere veranlaßt, das Mittel ebenso zu verwenden, mit derAbsicht, den Vorteil auszugleichen, den sich der Konkurrent verschafft hat. Bis zum jetzigen Zeitpunkt ist es nicht möglich, EPO nachzuweisen. (Anmerkung von leistungssport.com: "das stimmt so nicht mehr 2003".) Wir sind der Justiz dankbar für die wichtige Rolle, die sie bei der Verfolgung dieses Problems einnimmt. In der Zwischenzeit haben die Blutkontrollen der UCl, die vor zwei Jahren elngeführt wurden, wenigstens die Wirkung gehabt, für die Gesundheit gefährlich hohe Hämatokritwerte festzustellen, was einen wichtigen Schritt im Kampf gegen das EPO darstellt, weil der EPO-Gebrauch der Grund für diese hohen Werte ist. Parallel dazu haben wir festgestellt, daß das Bewußtsein der Fahrer, der Sportlichen Leiter und derTeamärzte gegenüber diesem Problem gestiegen ist.
Leider ist damit nicht gesagt, dass es keine Dopingfälle mehr geben wird. Aber wir hoffen stark, dass dank dem Einsatz aller Betroffenen, die Justiz eingeschlossen, das Dopingproblem auf einige wenige Fälle reduziert bleibt. So lautet die Schlußfolgerung des Weltverbandes UCI in einem Papier mit dem Titel "Fragen und Antworten zur Antidping-Politik und zum Gesundheitsprogramm", das während des Giro in Treviso veröffentlicht wurde. Der Leser reibt sich verwundert die Augen. Seinen Ohren nicht getraut hat er schon bei Rundfahrt-Beginn in Agrigento, als Hein Verbruggen in einem öffentlichen Interview erklärte, erst nach der neunstündigen Einvernahme bei Untersuchungsrichter Patrick Keil in Lille sei er sich der Tragweite der Angelegenheit bewußt geworden.

"Da steht ein Haus in Flammen und einige Leichtgläubige versuchen es mit der Handpumpe zu löschen."

Schuldig geblieben sind die UCI-Oberen bisher die Erklärung weshalb sie lediglich einen Istzustand erkennen, und weshalb ihnen so wenig daran liegt, Ursachenforschung zu betreiben. Während der Italienrundfahrt hat sich Hein Verbruggen veranlasst gefühlt, dem Veranstalter eine schriftliche Stellungnahme zukommen zu lassen, in dem sich die oberste Radsport-lnstanz gegen die Vornahme gleichzeitiger Urin- und Bluttests stellt. Da ist anzumerken, dass das Abzapfen von Blut juristisch umstritten und rechtlich in einigen der 168 nationalen Verbände die der UCI angehören, noch nicht abschliessend geklärt ist. Doch weshalb sperren sich die UCI und die italienischen Fahrer gegen die gleichzeitigen Blut- und Urin-Tests, wie von der Ärzten des italienischen Olypischen Komitees (CONI) im Rahmen des Projektes "lch riskiere meine Gesundheit nicht" seit diesem Jahr vorgenommen werden? In einem Interview mit der italienischen Zeitung "Corriere delle Sport" erklärte Professor Mauro Salizzoni, Chef des Leber-Transplantationszentrums in Turin: "Es ist zutreffend, daß kein direkter EPO-Nachweis möglich ist. Aber es gibt indirekte Werte die hundertprozentig verlässlich sind." Bei den Urin-/Bluttests des CONI geben die sogenannten Creatininuria-Werte und der spezifische Wert des Urins Aufschluss darüber, ob mit Flüssigkeitszufuhr der Hämatokritwert gedrückt werden sollte, oder ob der Verdacht auf ein Leberleiden besteht. Um solche Zweifel zu beseitigen, genügt eine Untersuchung auf Ferritin. Professor Salizioni: "Wenn bei diesen Tests gewisse Werte überschritten werden, sind wir absolut sicher, dass mit EPO manipuliert wurde. Ich habe die Klagen der Radprofis gehört, daß sie sich zu vielen Kontrollen unterziehen müssen. Drei oder vier dieser CONI-Kontrollen, über die Saison verteilt, genügen völlig, um das EPO zum verschwinden zu bringen."

Auszug aus Tour 7/99,18

Anmerkung der Redaktion: Für EPO Doping stehen valide Testverfahren zur Verfügung

Intensive Forschung und Dopingpraxis
Wenn man sich die Landkarte der Zentren ansieht, an denen mit EPO systematisch in der Forschung gearbeitet wird, und mit überraschenden sportlichen Erfolgen in den Ausdauersportarten der letzten Jahre vergleicht, fällt ein hoher Grad an Übereinstimmung auf. Auch läßt sich statistisch zeigen, daß - ähnlich wie mit dem Auftreten von Anabolika, die Leistungen in den Kraft-/ Schnellkraftsportarten sprunghaft zunahmen - dies hat sich in den letzten Jahren in den Ausdauersportarten wiederholt. Leistungssport 6/96, 27

Doping Kontrollen
Dr. Gérard Dine leitet die Abteilung Hämatologie der Klinik von Troyes in der französischen Champagne und ist Direktor des dortigen "Institut Hologique". In dieser Eigenschaft ist er Mitinitiator des "suivi midical longitudinel", der Langzeituntersuchungen für französische Hochleistungssportler. Der nationale Radsportverband FFC hat seine Fahrer der Kategorie Elite verpflichtet, daran teilzunehmen. Diese Untersuchung gilt zur Zeit international als die umfassendste.

Seit wann wissen Sie von Dopingpraktiken, die weit über das empirische Doping hinausgehen?

DINE: Seit 1995. Aber leider gab es keine Beweise. Wir fanden damals bei Sportlern Hämatokritwerte von über 60. Derartige Werte deuten normalerweise auf Krankheiten wie zum Beispiel Polyglobulie eine abnorme Vermehrung der roten Blutkörperchen hin, allerdings in der Regel bei älteren Menschen. Bei einern 25jährigen, gesunden Sportler weist ein solcher Wert auf die Einnahme von EPO hin.

Wie hoch ist der Prozentsatz Menschen, dle natürlicherweise einen Hämatokritwert von über 50 haben?
Es gibt Menschen in den Bergen, die hohe Werte aufweisen. Etwa zwei bis drei Prozent haben spontan einen Wert von 50 bis 53. Der Hämaatokritwert allein ist daher nicht geeignet, die EPO-Einnahme nachzuweisen. In der Hämatologie verfügen wir über weitere Parameter. Der Hämoglobinwert, die Zellgröße, die Anzahl der Zellen und der Spiegel der Retikulozyten, die das Knochenmark täglich produziert (mehr als 1% im Blut) sind geeignete Nachweisverfahren.

Nachweisverfahren für die EPO-Einnahme.
Man muss wissen, dass sich EPO im Blut beziehungsweise im Urin durch äußerst komplizierte toxikologische Verfahren nachweisen ließe. Das Problem besteht darin, dass EPO, wenn es einmal in den Organismus gelangt ist, sehr schnell vom Knochenmark absorbiert wird. Die Einnahme von EPO ließe sich also nachweisen, wenn man unmittelbar nach der Injektion eine Kontrolle vornähme. Führt man hingegen eine Untersuchung über einen Iängeren Zeitraum mit mehreren Markern durch, die Auskunft geben über die Aktivität des Knochenmarks, so erfährt man, ob das Knochenmark künstlich stimuliert worden ist.
Dieses Verfahren gestattet den Schluß, dass jemand, der einen sehr hohen Hämatokritwert ausweist, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Substanzen genommen hat. Wenn diese Person nicht in der Lage ist, das Untersuchungsergebnis anders zu erklären, zum Beispiel durch eine Polyglobulie, dann ja.

Warum behauptet nun der UCI-Präsident, Sie wollten mit der Propagierung dieser Methode nur lhr Institut ins Gespräch bringen?
Auf Seiten der UCI herrscht angesichts der Situation im Doping Unverständnis und Verwirrung. Die sportlichen Instanzen wollen Tests wie bisher, die die Betrüger unter den Sportlern überführen. Solche Tests kann es aber für Substanzen nicht geben, die aus der Gentechnologie stammen. In den kommenden Jahren werden Dutzende neuer Produkte auftauchen. Substanzen, die auf Muskeln, Nerven und Gefäße wirken. Es wird Therapien geben, die die Zellen neu programmieren. All diese Stoffe werden mit den herkömmlichen toxikologischen Kontrollverfahren nicht mehr aufzuspüren sein, seien diese noch so hoch entwickelt. Die einzige Möglichkeit, das Wirken solcher Stoffe im Organismus nachzuweisen, liegt in einer präventiven Langzeiruntersuchung auf freiwilliger Grundlage. Sie stellt die Ausswirkungen der Substanzen fest, nicht die Substanzen als solche. Dies ist ein völlig neues Konzept, was den Umgang mit der Dopingproblematik und den Kontrollverfahren grundlegend verändert.

Ich habe erklärt, wie sich die Lage im Sport durch die Substanzen aus der Biotechnologie verändert hat. Es ist ein ethisches Problem entstanden. Natürlich soll man die herkömmlichen Kontrollen beibehalten, und weiterhin den chronischen Substanzen beikommen zu können. Aber jetzt ist eine Philosophie der Prävention angesagt. Daher habe ich die Langzeituntersuchung angeregt.
Der zweite Durchgang im Rahmen der Langzeituntersuchung ist abgeschlossen.

Wie waren die Ergebnisse?
Wie ich bereits erläuterte, handelt es sich bei Substanzen EPO oder Wachstumshormonen nicht mehr um chemische Substanzen, die punktuell wirken wie Amphetamine oder Kortikoide. Sie Wirken auf das Zellsystem. Wir stellten fest, dass diese neuen Substanzen den Stoffwechsel des Knochenmarks wesentlich beeinflussen. Damit das Knochenmark rote Blutkörperchen produziert benötige es Eisen, viel Eisen. Dies muß injiziert werden, denn die orale Einnahme wäre unzureichend. Nun sind Eiseninjektionen nicht verboten. Aber wenn man dem Körper unverhältnismäßig viel Eisen zuführt, wird es gefährlich. Hohe Eisenkonzentrationen im Blut führen zu chronischen Vergiftungen im gesamten Organismus. Besonders betroffen sind die Bauchspeicheldrüse, Leber, das Herz, Lunge, Nieren sowie das Nervensysten und die Muskeln. Die Pathologie kennt Krankheiten wie die Hämochromatose, das heißt einen pathologischen Überfluss an Eisen im Körper. Wenn man das nicht behandelt, werden diese Menschen in 20 Jahren zuckerkrank sein, an Stoffwechselstörungen leiden, Leberinsuffizienz aufweisen und Herz- oder Atembeschwerden haben. Wir haben im Rahmen unserer Untersuchung bei sehr vielen Sportlern Eisenvergiftungen festgestellt. Genauere Untersuchungen sollen herausfinden, ob der erhöhte Eisenspiegel zu Vergiftungen im gesamten Körper geführt hat. Dies alles wohlgemerkt bei Leuten, die nicht krank sind, sondern Sporter.

Wie war die Reaktion der betroffenen Sportler, als sie dies erfuhren?
Sie waren überrascht. Sie wußten nicht was mit ihnen ist. Einige schienen es auch nicht Wissen zu wollen. Viele besonders junge Fahrer haben aber begriffen, dass unsere Herangehensweise der richtige Weg ist, daß man erfolgreicher Wettkampfsportler sein kann, ohne seine Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Jetzt sind sie Teil eines medizinisch - wissenschaftIichen Forschungsprogramms, in dessen Rahmen eine Behandlungsmethode entwickeln, die eine Erkrankung verhindern soll.

Welches sind neben EPO die neuartigen Substanzen, die von den Sportlern zwecks Doping verwendet werden?
Zunächst sind das Wachstumshormone, die Muskelzuwachs bewirken. Das Wachs-numshormon IGF 1 zum Beispiel verbessert die Erholung, indem es gestattet, während der Ruhephase Proteine zu bilden. Die Aminosäuren können besser die Zellwände durchdringen und schneller die Muskelproteine rekonstituieren. Darüber hinaus gibt neuartige Stoffe, welche die Sauerstoffversorgung verbessern, wie das PFC und retikuliertes Hämoglobin. Und dann fürchte ich, dass in den kommenden Jahren weitere Wachsrumsfaktoren autauchen werden, die zum Beispiel auf die Gefäße, das Kapillarsystem und auf die Verteilung des Sauerstoffs im Körper wirken. Dazu kommen Wachstumsfaktoren, die direkt auf die Muskulatur und das Nervensystem wirken. Eine der großen Herausforderungen für die moderne Medizin besteht schließlich darin, mittels Zell- und Gentherapie den Organismus von Menschen neu zu programmieren, die an konstitutionellen Krankheiten leiden.
Für kranke Menschen elne segenreiche Erfindung, wie im übrigen ja auch das EPO. Aber was können diese Stoffe im Körper eines gesunden Menschen bewirken?
Darüber weiß man heute so gut wie nichts. Seit zehn Jahren werden neue Substanzen im Doping verwendet, und nie kann etwas über ihr langfristiges Wirken im Organismus sagen. Um erste Ergebnisse zu haben, müßte man Sportler kontinuierlich über einen langen Zeitraum untersuchen, was wir seit Oktober 1998 nun. Aber wir befinden uns am Anfang.
Man braucht eine Arbeitsmedizin, die den Anforderungen des Hochleistungssports gewachsen ist. Sie wäre Garant für die körperliche Unversehrtheit der Sportler und würde ihre persönliche Integrität bewahren. Die EU als demokratisch legitimierte Macht mit ihrer wirtschaftlichen Kraft kann dafür sorgen. Es fehlt eine philosophische, eine kulturelle Vision, eine den veränderten Verhältnissen Rechnung tragende Ethik. Die sportlichen Institutionen wie das IOC und die Verbände hätten diese Ethik umzusetzen. Geschieht dies nicht, werden die Verirrungen menschlichen Tuns, die menschliche Leistungsfähigkeit in der Biotechnologie den programmierten Sportler schaffen.

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